Coden für Cabo Verde
Das Ökosystem auf den Kapverden zählt zu den produktivsten der Welt. Ein Hackathon der MarDATA hat auf São Vicente Wissenschaftler zusammengebracht, um das Potenzial der Meeresdaten zu heben.
Wilde Küsten, kristallklares Wasser und eine faszinierende Unterwasserwelt - dafür sind die zehn kapverdischen Inseln bei Tauchern, Strandurlaubern und Wanderern bekannt. Aber auch für viele Forscherinnen und Forscher ist der Archipel westlich des Senegals von großer Bedeutung: Das Ökosystem, das vom Küstenauftrieb vor Westafrika genährt wird, zählt zu den produktivsten und wirtschaftlich bedeutendsten der Welt. Seit vielen Jahren versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier dem Ozean seine Geheimnisse zu entlocken und Lösungen für Herausforderungen wie den Klimawandel zu finden. Eines der wichtigsten Produkte ihrer Arbeit sind Meeresdaten.
WASCAL
WASCAL
Das „West African Science Service Centre on Climate Change and Adapted Land Use“ (WASCAL) ist eine internationale westafrikanische Organisation, die sich auf akademische und transdisziplinäre Forschung, den Aufbau wissenschaftlicher Kapazitäten auf Hochschulebene und die wissenschaftlich fundierte Beratung politischer Entscheidungsträgerinnen und -träger in Westafrika zu Fragen der Anpassung an den Klimawandel und des Landnutzungsmanagements konzentriert. WASCAL, finanziert vom BMBF und den aktuell 12 westafrikanischen Mitgliedsländern, unterstützt diese auf lokaler, nationaler und regionaler Ebene im Umgang mit den Folgen des Klimawandels.
Der WASCAL-Masterstudiengang „Climate Change & Marine Sciences“ an der Universidade Técnica do Altantico (UTA) in Mindelo, Cabo Verde, wird in enger Zusammenarbeit mit dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel durchgeführt und vom Ocean Science Centre Mindelo (OSCM) und dem Instituto do Mar (IMar) sowie diversen internationalen Partnerinnen und Partnern unterstützt. Diese Kooperation vermittelt wissenschaftliche und akademische Fähigkeiten im Bereich Klima, Meereswissenschaften und Management auf internationaler und regionaler Ebene in Westafrika im Kontext des Klimawandels. Das Programm bereitet westafrikanische Studierende angemessen auf eine Promotion oder berufliche Laufbahnen vor.
Um das enorme Potenzial dieser Datensätze zu erkunden, organisierte die Helmholtz School for Marine Data Science (MarDATA) vom 11. bis 18. März 2024 einen Hackathon auf der Insel São Vicente. In der Hafenstadt Mindelo trafen sich dazu zwölf MarDATA-Doktorandinnen und Doktoranden mit Studierenden des WASCAL-Masterstudiengangs "Climate Change & Marine Sciences". Ihr Ziel: gemeinsam Ansätze und Lösungen entwickeln, die den Wert der Daten sowohl für lokale Interessensgruppen als auch für die wissenschaftliche Gemeinschaft hervorheben und steigern. Enno Prigge, wissenschaftlicher Koordinator der MarDATA und Initiator der Projektwoche, hat den Hackathon dokumentiert:
Digitaler Zwilling
Digitaler Zwilling
Digitale Zwillinge sind eine Methode zur Darstellung und Untersuchung komplexer Systeme, die für die Ingenieurwissenschaften entwickelt wurde und zunehmend auch in der Erdsystemforschung eingesetzt wird.
Digitale Zwillinge des Ozeans bestehen aus Simulationen des Ozeans (üblicherweise ein Modell z.B. physik-basiert oder KI-basiert), die den echten Ozean (oder einen Teilprozess des Ozeans) abbilden. Der reale Ozean und seine Simulation sind dabei im Digitalen Zwilling durch Informationsaustausch verknüpft: Im realen Ozean wird gemessen und observiert, aus dem simulierten Ozean werden Handlungsempfehlungen für einen Ozean der Zukunft abgeleitet.
Digitale Zwillinge ermöglichen eine neue digitale Forschungskultur, um Disziplinen zu verbinden und verschiedene Informationsquellen zu kombinieren. Um diesen Kulturwandel zu ermöglichen, müssen sie als wissenschaftliche Methode im Vergleich zu bestehenden Methoden effizienter und zuverlässiger sein, oder die einzige Möglichkeit darstellen, eine Frage zu untersuchen. Daher ist es wichtig, konkrete Implementierungen von Digitalen Zwillingen im Hinblick auf das gewünschte Ergebnis zu konzipieren. Dies Ergebnis sollte idealerweise quantitativ, objektiv und wiederholbar sein, um einen robusten wissenschaftlichen Beitrag zu gesellschaftlichen Fragen leisten zu können.
Cabo Verde, 11. März 2024: Kick-Off
Der erste Tag beginnt im Ocean Science Centre Mindelo (OSCM) mit der Vorstellung der Aufgaben. Die Mentorinnen und Mentoren erklären sie: Wir haben drei Challenges vorbereitet. In Challenge 1 sollen 4er-Teams eine App für lokale Fischer verbessern und an deren Bedürfnisse anpassen. In Challenge 2 konzentrieren sich die Teams darauf, bisher separat gesammelte Daten aus dem Meer und der Atmosphäre zusammenzuführen und der Allgemeinheit zugänglich zu machen. In Challenge 3 haben die Teams die Aufgabe, gemeinsam mit lokalen Interessenvertreterinnen und -vertretern die zentralen Anforderungen an einen digitalen Zwilling des Ozeans rund um Cabo Verde zu identifizieren.
Am Ende des ersten Tages haben sich insgesamt fünf Teams aus 18 Nationen auf die drei Challenges aufgeteilt und sind bereit für die Arbeit: Unterstützt von lokalen und angereisten Meeresforscherinnen und -forschern und Data Scientists werden Datensätze ausgewählt, Konzepte entwickelt und Teilaufgaben verteilt.
"Es wäre toll, wenn wir auch auf die gesammelten Daten zugreifen könnten und es möglich wäre, über die App einen Notruf abzusetzen.“
Osvaldo Bedji, Fischer auf São Vicente
12. März 2024: An die Arbeit
Heute machen sich die Teams, die die Fisherman App optimieren wollen, auf den Weg in die kleine Gemeinde Calhau im Osten der Insel. Dort treffen sie Osvaldo Bedji, um mit ihm über seine Erfahrungen mit der App zu sprechen. „Für uns junge Fischer gehört das Smartphone ganz selbstverständlich zum Alltag“, erklärt Osvaldo. „Die Fangdaten mit der App zu erfassen, erleichtert uns die Arbeit schon sehr.“ Aber er hat auch Verbesserungsvorschläge: „Es wäre toll, wenn wir auch auf die gesammelten Daten zugreifen könnten und es möglich wäre, über die App einen Notruf abzusetzen.“
Währenddessen haben es sich die Teams der zweiten Challenge in den Räumen des Ocean Science Centres gemütlich gemacht und erkunden an Computern Meeres- und Atmosphärendaten, die von lokalen und internationalen Forschungsteams gesammelt wurden. Es wird diskutiert und gecoded: WASCAL-Studierende erklären die meereswissenschaftlichen Zusammenhänge, während MarDATA-PhDs Zeile für Zeile Python-Code in die Tasten tippen.
Im nächsten Raum bietet sich ein anderes Bild: Zehn MarDATAs und WASCALs sitzen in einem großen Kreis und versuchen, sich mit Hilfe unzähliger Post-its dem Thema „Digital Twin Cabo Verde“ zu nähern. Auf der Pinnwand sammeln sich Fragen wie: Welche Daten sind wichtig? Wie können die FAIR-Prinzipien "Findable, Accessible, Interoperable, and Reusable" bei der Aufbereitung und Verarbeitung der Daten gewährleistet werden? Und wie lassen sich interaktive Plattformen gestalten, die einen möglichst breiten Zugang zu den Daten ermöglichen? Nach dem Brainstorming hat das Challenge 3 Team schnell einen Fahrplan für die Woche.
13. März 2024: Halbzeit
Zur Halbzeit der Projektwoche treffen sich heute alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch einmal, um ihre Ideen und Ansätze auszutauschen. Es werden bereits spannende Zwischenergebnisse präsentiert: Das Team der Fisherman App hat per Videokonferenz bereits erste Änderungsideen mit dem Entwickler in Brasilien abgestimmt. Die Teams in Challenge 2 arbeiten daran, mit Hilfe von Winddaten so genannte Küstenauftriebsereignisse vorherzusagen – ein ozeanographischer Prozess, welcher sich auch auf das lokale Ökosystem auswirkt und somit für die lokale Fischerei Relevanz hat. Außerdem wollen sie den Einfluss von Saharastaub auf die Entstehung von Biomasse interaktiv darstellen, damit die Menschen von Cabo Verde diesen Zusammenhang nachvollziehen können. Währenddessen hat für Challenge 3 das Team Gespräche mit lokalen Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und Fischern geführt und arbeitet nun am Konzept für einen digitalen Zwilling.
18. März 2024: Finale
Nach vielen arbeitsreichen Tagen ist es heute noch einmal hektisch in den Räumen des Ocean Science Centres. Albertino Martins, Präsident des Instituto do Mar, dem Meeresinstitut von Cabo Verde, Vertreterinnen und Vertreter der vor Ort ansässigen Universidade Técnica do Altantico (UTA) sowie lokale Forschende, Interessengruppen und Journalistenteams sind zur Abschlussveranstaltung gekommen. Die Teams, die an der Fisherman App gearbeitet haben, starten mit der Präsentation. Sie präsentieren bereits viele Verbesserungen: Sie haben die Benutzeroberfläche optimiert, eine automatisierte Verarbeitung der eingegebenen Daten eingerichtet und als neues Feature können die Fischer nun auch Notrufe absetzen.
Auch die Teams aus Challenge 2 können eindrucksvolle Ergebnisse vorlegen: Ein Team stellt eine interaktive Visualisierung vor, die Staubkonzentration, atmosphärische optische Tiefe, erkannte Staubereignisse und Konzentrationen von Chlorophyll a kombiniert. Das andere Team hat mit Hilfe von maschinellem Lernen eine Datenanalyse und Modellierung programmiert, die eine einfache Analyse verschiedener gerasteter Datensätze für Auftriebsereignisse ermöglicht. Diese Methode soll helfen, die Variabilität des Auftriebs als Treiber für die biologische Produktion zu verstehen und kann mit vorhandenen Fischereistatistiken kombiniert werden, um zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen.
"Die Nähe zur Anwendung sowie die Zusammenarbeit mit dem WASCAL Master-Programm und den lokalen Interessenvertretern ist ein enormer Gewinn für die MarDATA-Promovierenden und die lokalen Partner."
Arne Biastoch, Professor für Ozeandynamik und Sprecher der MarDATA
In einem einzigartigen Zusammenspiel greift das von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Challenge 3 entwickelte Konzept für einen „Digitalen Zwilling Cabo Verde“ die Methoden und Ansätze der ersten beiden Challenges auf. Ihre Vision: Auf einer Website sollen ausgewählte Datensätze erkundbar werden und es soll die Möglichkeit geben, eigene Datensätze hochzuladen. Zudem legt die Gruppe wichtige Grundlagen für die die Infrastruktur und Konzeption eines Digitalen Zwillings in Cabo Verde dar, die lokale Interessen und Bedürfnisse aufnimmt und eine demokratisierte Verbreitung von Daten vorsieht.
„Während der Projektwoche konnten die Teilnehmenden ihr Verständnis für grundlegende meereswissenschaftliche Prozesse sowie Data Science Fähigkeiten in einem neuen, unbekannten und interdisziplinären Umfeld austesten“, fasst Arne Biastoch, Professor für Ozeandynamik und Sprecher der MarDATA am GEOMAR die Veranstaltung zusammen. „Die Nähe zur Anwendung sowie die Zusammenarbeit mit dem WASCAL Master-Programm und den lokalen Interessenvertretern ist ein enormer Gewinn für die MarDATA-Promovierenden und die lokalen Partner.“
Auch die Teilnehmenden sind mit der Woche hochzufrieden. Neben dem inspirierenden wissenschaftlichen Austausch sind es vor allem die enge Zusammenarbeit über Statusgruppen und kulturelle Unterschiede hinweg, die bei allen in Erinnerung bleiben wird. Schon jetzt freuen sich alle auf ein Wiedersehen in 2025, wenn die Studierenden des WASCAL Master Programms als Teil ihrer Ausbildung und der „Floating University“ mit dem Forschungsschiff POLARSTERN nach Deutschland kommen.
Text: Enno Prigge, MarDATA